Das Osterwochenende steht an und die Apfel- und Birnenblüte taucht das Mostviertel in Weiß. An einem himmelblauen Tag hole ich deswegen mein Rad aus dem Winterschlaf, pumpe noch Luft in die Reifen und losgeht die Fahrt.
Heilige Margarethe#
Ich beginne in Ardagger-Stift. Das namensgebende Kloster ist schon seit langer Zeit aufgelassen. 1049 wurde es von dem deutschen Kaiser Heinrich III. als Kollegialstift zu Ehren der Heiligen Margarethe gestiftet, nachdem er das Land dem Bischof von Freising zur Verwaltung übergeben hatte. Die Bischöfe von Freising, obwohl aus Bayern, sind eng mit der frühen Geschichte des Landes verwoben und werden noch ein paar mal in meiner Erzählung auf die Bühne gerufen.
Laut Gründungssage soll sich Heinrich III. in der Region auf der Jagd befunden haben. Seine hochschwangere Frau, Agnes von Poitou, wurde vom Gatten im finsteren Wald getrennt. Sie entdeckte jedoch eine kleine Waldkapelle, wo sie noch Schutz suchte, bevor die Wehen einsetzten. Daraufhin betete sie zu Gott und der Heiligen Margarethe.
Warum zur Heiligen Margarethe? Sie gilt als Schutzpatronin für die Schwangeren und Gebärenden. Ihr Gebet wurde erhört, sie gebar ohne Komplikationen und als Dank stiftete ihr Gatte ein Kloster am Ort der Waldkapelle.
In der spätromanischen Stiftskirche befindet sich zudem eines der ältesten Kirchenfenster Mitteleuropas. Es gibt die Hagiografie der Heiligen Margarethe wieder und wurde im frühen 13. Jahrhundert hergestellt.
Nach Ardagger-Stift folgt ein steiler Anstieg auf das Hochplateau der Neustadtler Platte. Bis nach Viehdorf geht es immer wieder kurz bergauf und bergab, ein kleiner Vorgeschmack für den Rest der Strecke. Birnen- und Apfelbäume säumen die Straßen 🍐🍎 In der Ferne, auf einen Hügel thront imposant die Kirche Kollmitzberg.
Endlich! Nach Viehdorf kann ich den Druck von den Pedalen nehmen und es bergab laufen lassen. Ich düse vorbei am Schloss Seisenegg, das beliebt für Hochzeiten ist. Zuerst die Westbahnstrecke dann die Bundesstraße werden überquert und schlussendlich auch die Ybbs, wo ich auf die hügeligen Ausläufer der Alpen treffe. Es geht wieder bergauf.
Mostheurige#
Große Bauernhöfe, sogenannte Vierkanthöfe, sitzen auf Hügelkuppen, wo sie ihren Grundbesitz überblicken. Saftige, grüne Blumenwiesen und Obstgärten mit Birnen- und Apfelbäumen prägen die Landschaft. Etliche dieser Bauernhöfe bieten auch Abhofverkäufe von Produkten aus der eigenen Erzeugung an. Von Apfel- und Birnenmost bis Geselchtes finden sich zahlreiche Schmankerl in ihren Läden.


Am Abend wird es bei den Heurigen gesellig. Die Bauern schenken Most aus. Bei einer deftigen Brettljause wird dann getratscht und philosophiert. Auch am Tag kann man nach der anstrengenden Radfahrt zur Stärkung einkehren. Doch aufgepasst! Sie haben nicht durchgehend geöffnet, sondern nur für ein paar Wochen in der Saison. Im Heurigenkalender kann man sich vorab informieren, wann und wo ein Heuriger offen hat.
Ostarrichi#
Nach Euratsfeld gelange ich nach Neuhofen an der Ybbs. Der unscheinbare, kleine Ort hat für Österreich eine große Bedeutung. Schließlich wurde in einer Schenkungsurkunde der Name Österreich erstmals erwähnt.
996 übergab Kaiser Otto III. den Freisinger Bischof die Königshufen um Neuhofen. In dem Dokument wird beschrieben, wo Neuhofen genau liegt – nämlich in einer Gegend, die in der Volkssprache „Ostarrichi“ genannt wird. Oder im ursprünglichen lateinischen Wortlaut: „in regione vulgari vocabulo Ostarrichi.“
Auch die nächste Ortschaft auf meiner Radtour, Ulmerfeld, wurde bereits 995 schriftlich festgehalten. Ebenfalls übergab hier der Kaiser die Burg und den dazugehörigen Ort an den Freisinger Bischof.
Die Region Ostarrichi, im Lateinischen „Marchia Orientalis“, lag am östlichen Rand des ostfränkischen Reiches und unterstand dem Herzogtum Bayern. Erst ein paar Jahrzehnte zuvor konnten die Bayern und das Ostfrankenreich Kontrolle über das Land von den Steppenreitern der Magyaren erlangen. Es war eine Grenzregion – heiß umkämpft.
Sogar im Nibelungenlied wird die Region erwähnt. Die Magyaren verwandelt der unbekannte Dichter jedoch zu Hunnen, die ein paar Jahrhunderte früher das römische Reich ins Wanken brachten.
Für den Landesausbau und Sicherung gegen weitere Magyareneinfälle wurde das Land an verdiente bayrische Bischöfe und Fürsten übergeben. Sie bauten Klöster, wie eben Stift Ardagger, aber Burgen zur Verteidigung.
Die Burg Ulmerfeld ist ein wunderbares Beispiel einer Ritterburg. Genauso stelle ich mir eine in meiner Fantasie vor. Ende des 13. Jahrhunderts wurde die Burg im Stil der Gotik erheblich erweitert und überwacht auf einen Felsvorsprung die darunterliegende Ybbs. Ein breiter Burggraben umgibt sie. Der hohe Burgturm ist weithin sichtbar. Die angeschlossene Ortschaft, Ulmerfeld, hat auch den Charme eines mittelalterlichen Marktes erhalten.


Landesklinikum Mauer-Öhling#
Nach der Ybbsüberquerung durchfahre ich einen großen Wald und komme in Mauer-Öhling wieder heraus. Hier befindet sich in einem weitläufigen Park ein wunderschönes Jugendstilensemble, die Heil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling, heute Landesklinikum Mauer-Öhling.
Das Krankenhaus wurde von 1898 bis 1902 als Pavillonanlage erbaut. Es sollte ein neues Kapital der psychiatrischen Pflege einläuten. Anstatt psychisch kranke Personen in enge, dunkle Zellen einzusperren, sollte die Natur in Mauer-Öhling zukünftig zur Gesundung beitragen. Die Anlage diente wenig später auch als Vorbild für das Krankenhaus Am Steinhof in Wien.
Leider ganz so revolutionär war das neue Konzept dann doch nicht. Spätestens mit den Nationalsozialisten kehrten die alten Pflegepraktiken und noch Schlimmeres zurück. Während der Aktion T4 wurde ein Großteil der Patienten und Patientinnen im Schloss Hartheim bei Linz mit Kohlenmonoxid vergiftet. Und die in Mauer-Öhling Übriggebliebenen wurden gezielt vernachlässigt, zwangssterilisiert und täglicher Gewalt ausgesetzt.
Das Morden stoppte ebenfalls nicht. Gegen Ende des Krieges wurden noch Insassen von den Anstaltsärzten und dem Pflegepersonal mittels Medikamentenüberdosis ermordet. Die leitenden Ärzte konnten sich der Justiz und einer Verurteilung durch gefällige psychiatrische Gutachten und Absprache mit Zeugen entziehen und flüchteten nach Syrien und Irak.1
Das Ensemble wird zurzeit für die Landesausstellung renoviert, weshalb auf meinen Bildern hinter Kränen und Gerüsten die wunderbaren Gebäudefassaden verschwinden. Ein dauerhafter Erinnerungsort an die medizinischen Verbrechen der Nationalsozialisten soll zudem geschaffen werden, der auch nach dem Ende Landesausstellung weiterhin diese Verbrechen dokumentiert.
Obstgärten und Hügel#
Es folgt der längste Anstieg der gesamten Runde. Ein herrlicher Ausblick über das Ybbsfeld in die Voralpen erschließt sich mir während der Fahrt und bei meiner Ankunft auf der Hügelkuppe. Aufpassen bei der Überquerung der Bundesstraße!
Die gewonnenen Höhenmeter gebe ich aber sofort wieder ab. Nach der Autobahnunterführung geht es steil bergab nach Oberzeillern. Der Ort wird von einem großen Obstgarten umschlossen. Die Apfelbäume blühen im makellosen Weiß und Rosa.
In Zeillern halte ich kurz beim Schloss. Von dem ursprünglichen Wassergraben, der das Schloss umgab, besteht heute nur mehr ein kleiner Teich. Die Grundmauern stammen ebenfalls aus dem Frühmittelalter. Nach mehreren Umbauten erhielt das Schloss im 17. Jahrhundert schlussendlich, die noch heute bestehende Barockfassade.
Meine Runde neigt sich dem Ende zu. Es ist nicht mehr weit bis zum Startpunkt meiner Fahrt. Aber bevor ich wieder in Ardagger-Stift ankomme, muss ich noch zwei steile Rampen mit über 10 % Steigung überwinden. Puh 😅
Eine wunderbar abwechslungsreiche Radfahrstrecke. Besonders im April, wenn die Apfel- und Birnenbäume blühen, ist sie eine Ausfahrt wert. Bei manchen Rampen wäre ein bisschen elektrische Hilfe aber auch nicht schlecht.
Mettauer, P. (2020). Survivors, Victims, and Perpetrators at the Lower Austrian Psychiatric Hospital Mauer-Öhling During the National Socialist Era. In: Bardgett, S., Schmidt, C., Stone, D. (eds) Beyond Camps and Forced Labour. The Holocaust and its Contexts. Palgrave Macmillan, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-56391-2_3 ↩︎